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Hamburger SV

Wie der HSV scheiterte: „Das Haus brennt lichterloh“

Es ist gerade einmal sieben Monate her, da stand ganz Hamburg auf dem Kopf. Durch einen späten Treffer am 34. Spieltag gegen den VfL Wolfsburg sicherte sich der Hamburger SV im Mai 2017 in letzter Minute aufs Neue den Klassenerhalt. Die Fans stürmten vor Freude den Rasen des heimischen Volksparkstadions, feierten zusammen mit Spielern und Verantwortlichen. Heute, gut ein halbes Jahr später, ist von der damaligen Erleichterung jedoch nichts mehr zu spüren. Wieder einmal hat der HSV nach teuren Spielerkäufen im Sommer eine schwache Hinrunde gespielt. Wieder einmal hat die Vereinsführung bei der Planung der neuen Saison offensichtlich versagt. Und wieder einmal steht man deshalb nun am sportlichen Abgrund.

Chance zur Besserung war da

Zugegeben: Es waren die andauernden Fehleinschätzungen vieler unterschiedlicher Trainer, Sportdirektoren und Vorstandsmitglieder, die den HSV zu der grauen Maus gemacht haben, die er mittlerweile ist. Folglich ist es daher auch nicht möglich, in einem einzigen Artikel eine Erklärung für das Versagen der letzten Jahre zu finden. Doch wie in jeder Sommerpause hatten die Hamburger Verantwortlichen auch vor dieser Spielzeit die Möglichkeit, mit richtigen Entscheidungen den Verein in bessere Bahnen zu lenken.

Was sich seit der Rettung im Mai beim HSV allerdings abgespielt hat, ist eine unerklärliche Aneinanderreihung von Fehlern – vor allem verursacht durch Trainer Markus Gisdol und Sportdirektor Jens Todt. Zwei Verantwortliche, die den HSV in der vergangenen Saison mit einem Kraftakt gemeinsam gerettet haben und jetzt schon wieder ratlos sind. „Die Lage ist prekär“, sagte unlängst der Vorstandsvorsitzende Heribert Bruchhagen. Wie konnte es wieder soweit kommen?

Kurz nach der erkämpften Rettung in der letzten Saison beschrieb Markus Gisdol die Hamburger Aufholjagd mit tiefblickenden Worten. „Wir sind ausgepresst wie eine Zitrone. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich noch einmal so eine Saison durchmachen würde“, sagte der Trainer damals. Sieben Monate später ist klar: Zwischen Vorstellung und Wirklichkeit passen manchmal bekanntlich Welten – in Gisdols Fall ist es zumindest die Länge des Elbtunnels.

Allein ein Blick auf die Tabelle verdeutlicht den Ernst der Situation. Tabellenplatz 17, nur vier Siege und lediglich 15 eigene Tore. Zahlen des Grauens, mit denen in Hamburg selbst offensichtlich niemand gerechnet hat. „Es gab kein Indiz dafür, dass wir nach der Hinrunde auf Platz 17 landen“, sagte Heribert Bruchhagen jüngst im „Sport1 Doppelpass“. Jener Bruchhagen war es übrigens auch, der dem sportlichen Führungsduo Gisdol und Todt im Sommer weitreichende Gestaltungsfreiheit einräumte. Dafür stellte er den beiden insgesamt 19 Mio. Euro zur Verfügung.

Gisdol durfte bei Transfers entscheiden

Kurz nach der Rettung setzte sich Gisdol intern für einen größeren Umbau des HSV-Kaders ein. Der Trainer war von der Qualität des Spielermaterials längst nicht überzeugt und forderte auf einer Liste, die er Sportdirektor Jens Todt übergab, mehrere Neuzugänge. Aufgrund der starken finanziellen Probleme des HSV und einer Finanzblockade des Aufsichtsrates, war dies von Anfang an jedoch ein sehr wackeliges Vorhaben. Dass die Trainer – und nicht die Vorstände oder Sportdirektoren – bei Spielerverpflichtungen das letzte Wort haben, gilt in der Bundesliga ohnehin als äußerst unüblich. Gisdol durfte trotzdem diktieren und auf einen Kader nach seinem Geschmack hoffen.

Womit der 48-Jährige im Sommer allerdings nicht gerechnet hat: Sportdirektor Jens Todt schaffte es nicht, auch nur einen der rund ein Dutzend Spieler zu verpflichten, die ihm von Gisdol auf die Liste geschrieben wurden. Umso länger dauerte es, bis der HSV die ersten Neuzugänge präsentieren konnte. Für Kyriakos Papadopoulos und André Hahn zahlte der HSV dann insgesamt gut 13 Millionen Euro. Beides absolute Wunschtransfers von Gisdol, die er trotz der jeweils sehr hohen Transfersumme durchsetzen durfte.

Im Sturmzentrum entschied sich der Trainer außerdem für Bobby Wood, der eine deutliche Gehaltserhöhung bekam – und gegen Michael Gregoritsch. Gisdols Plan sah vor, dass Verteidiger Papadopoulos und die Stürmer Wood und Hahn eine wichtige Rolle im zukünftigen HSV-Kader einnehmen sollen. Um sie herum wollte der Trainer im Trainingslager eine flexible Taktik einstudieren, die der Mannschaft vor allem im Offensivspiel mehr Optionen bieten sollte.

Enorme Rückschritte statt Weiterentwicklung

Acht Monate später lesen sich die Zeilen über Gisdols Transferwünsche jedoch nicht wie ein durchdachter Plan – sondern eher wie Satire. In seinem Vorhaben, dem HSV ein flexibles Offensivspiel einzuimpfen, ist der Trainer komplett gescheitert. Das zeigen die Zahlen aus der Hinrunde deutlich. Und während der zum FC Augsburg transferierte Gregoritsch in der laufenden Saison schon auf acht Treffer kommt, haben Bobby Wood und André Hahn zusammen gerade einmal drei Tore schießen können.

„Hahn gegen Gregoritsch und eine halbe Million einzutauschen, wird wohl als der dümmste Deal der Bundesligageschichte in die Geschichtsbücher eingehen“, spottete unlängst ein HSV-Fan nach der letzten Niederlage gegen Augsburg auf Twitter. Selbst vom schnellen und brachialem Pressingspiel, dass die Hamburger in der vergangenen Rückrunde ausgezeichnet hat, ist nichts mehr zusehen. Beobachter fragen sich zurecht, wie aus dem im Frühjahr sehr schnellen Team, die jetzt wohl langsamste Mannschaft der Bundesliga werden konnte.

Eine Frage, die auch Markus Gisdol nicht beantworten kann. Woche für Woche versucht der Trainer trotzdem, dass Positive aus den schwachen Leistungen seiner Mannschaft hervorzuheben. Spieltag für Spieltag probiert der 48-Jährige taktisch und personell immer wieder neue Varianten aus. Doch es wird nicht besser.

Aus dem Umfeld des HSV ist zu hören, dass der Trainerstab deshalb schon nach der Pleite bei Borussia Mönchengladbach am 17. Spieltag (1:3) mit seiner Entlassung gerechnet hatte. Doch diese erfolgte bekanntlich nicht. Sollte beim Kellerduell gegen den 1. FC Köln allerdings kein Sieg herausspringen, wird für Gisdol und seine Co-Trainer in Hamburg wohl endgültig Schluss sein. Entscheiden wird das ausgerechnet Jens Todt, der den Saisonverlauf als Teil der sportlichen Führung ebenso zu verantworten hat.

Kühne und Gisdol missachten Todt

In Hamburg kursieren seit Sommer vor allem zwei äußerst kuriose Geschichten, die mit der Arbeit von Jens Todt zusammenhängen. Demnach hält HSV-Mäzen Klaus-Michael Kühne nicht allzu viel vom 48-jährigen Sportdirektor und kommuniziert deshalb lieber mit Markus Gisdol direkt.

So soll der Trainer im Mailverkehr mit Kühne auch regelmäßig Transferwünsche geäußert haben, auf die der Mäzen mit Verständnis reagierte – und einmal sogar „Das Haus brennt lichterloh“ in die Betreffzeile schrieb. Unklar ist, warum Jens Todt und auch Vorstandschef Heribert Bruchhagen eine derartige Kommunikation toleriert und nicht unterbunden haben.

Ebenso gilt es als sicher, dass der HSV sich bei der Verpflichtung von André Hahn auf ein fragwürdiges Geschäft eingelassen hat. So soll Kühne die Verantwortlichen an der Elbe beim Transfer des ehemaligen Nationalspielers unter Druck gesetzt haben, was der Mäzen einige Wochen später sogar selbst offenlegte. „Ich habe dem Verein […] gesagt, dass ich André Hahn nur finanziere, wenn ihr Wood haltet“, äußerte sich Kühne in einem Interview mit dem Fernsehsender „Sky“.

Profitiert hat davon letztendlich wohl der Kühne-Vertraute Volker Struth, der als Spielerberater von Hahn und Wood so ein lohnenswertes Geschäft gemacht haben könnte. Auch hier ist nicht klar, warum sich Sportdirektor Jens Todt in seinen Kompetenzen derart einschränken ließ. Und die Vereinsführung nichts gegen eine mögliche Einflussnahme unternommen hat.

Interne Kritik beim HSV nimmt zu

Gut ein Jahr ist Jens Todt nun schon Sportdirektor beim HSV. Noch empfohlen vom ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Dietmar Beiersdorfer und anschließend eingestellt von Heribert Bruchhagen, wird die Arbeit des 48-Jährigen nach seinen ersten zwölf Monaten im Verein vor allem aufgrund der schwachen Sommertransfers schon jetzt äußerst kritisch betrachtet.

Zwar muss auch Todt mit den schwierigen finanziellen Rahmbedingungen in Hamburg klarkommen. Doch zusammen mit Gisdol hatte er genügend Geld zur Verfügung, um den Kader entsprechend zu verstärken. Die Kritik ist also angebracht. Und auch in der laufenden Wintertransferperiode klappt bei Todt noch nicht viel. Vor kurzem absolvierte der Sportdirektor mitten in der Wechselphase eine spontane Scoutingtour in Spanien, was in der Fanszene für Unverständnis sorgte.

Während sich viele andere Mannschaften im Tabellenkeller schon verstärken konnten, muss der HSV auch am anstehenden 19. Spieltag noch ohne neue Spieler auskommen – und so gegen den 1. FC Köln eine außerordentliche Drucksituation meistern. Das kennen sie in Hamburg zwar schon seit Jahren. Ein ständiges Scheitern legitimiert das jedoch nicht.

Von Philipp Wenzel (@philipp_hh_)